Lieber Leser,
da habe ich was angefangen!
Bei aller Freude am Fabulieren und an gelungenen Formulierungen hätte ich nie geglaubt, wie anstrengend es ist, sich dem Thema Landwirtschaft von allen Seiten zu nähern. Ich gebe auch zu, dass es mich regelrecht runterzieht, denn jeden Tag wird eine neue Sau durchs Dorf getrieben! Jetzt ist es wieder die Düngeverordnung oder das bayerische Volksbegehren, man wird ganz schwindelig! Was soll man denn dazu noch Gescheites sagen?
Bob Seger, dessen Art die Dinge auszudrücken ich sehr mag, hat mal in einem Text geschrieben: „… im tired of my own voice…“ Er setzt sich dann aber auf seinen Big-2-Wheeler und ich habe nicht mal einen Motorradführerschein!
Nutzt ja nix! Zur Sache:
Jeder, der sich mit dem Thema beschäftigt, wohin die Produktionsbedingungen von Lebensmitteln in Deutschland gehen sollen, reiht sich unwillkürlich in irgendeine Schlachtordnung ein. Warum das so ist und warum so viel Emotion auf Seiten der Landwirte im Spiel ist, will ich diesmal versuchen zu erklären.
Eines der größten Schlagworte in der heutigen Öffentlichkeit ist die Kampagnenfähigkeit. Daran werden politische Parteien und NGOs gemessen. Wie weit sie in der Lage sind, Themen zu lancieren, am Kochen zu halten, politischen Druck aufzubauen. Wenn man das „System Merkel“ betrachtet, hat die Kanzlerin es geschafft, eine ganze Menge an möglichen Gefahrstellen abzuräumen. Atomkraft, Wehrpflicht, Homoehe, jetzt der Kohlekompromiss sind alles herrlich mobilisierende Themen gewesen, die unseren subventionsnahen NGOs wegbrechen. Man muss sich nur einmal nach dem Kohlekompromiss über das Aufjaulen der Aktivisten informieren: zu spät, zu teuer, zu wenig ambitioniert, und überhaupt! Eine gewisse Heimatlosigkeit unserer Aktivisten und des Schwarzen Blocks in ihren Baumhäusern wird spürbar! Aber: wie halte ich jetzt in den Fußgängerzonen die Gymnasiasten/Innen an der Überzeugungs-Arbeit und unsere darbenden Pensionäre am Spenden? Da hängen Existenzen dran!
Ich befürchte, dass jetzt die Landwirtschaft als übergebliebenes Aufregerthema noch intensiver ins Fadenkreuz gerät.
Aber:
ICH MÖCHTE NICHT, DASS MEINE WELT, MEINE FAMILIE UND UNSER HOF ALS KOLLATERALSCHADEN EINER GELANGWEILTEN ÖFFENTLICHKEIT ODER PROFILNEUROTISCHER POLITIKER LEIDET!
Veränderungen müssen und werden kommen, aber geht es auch ausgewogen und -leises Erschauern- weise?
Warum wehrt sich die Landwirtschaft eigentlich so? Uneinsichtig, verbohrt, intellektuell überfordert? Die Gesellschaft meint es doch nur gut!
Wenn ich mit Bauern und Landwirten spreche, (kurzer Einschub: Bauer ist per Definition eine Standesbezeichnung und keine Evolutionsstufe, Landwirt eine Berufsbezeichnung) dann bin ich immer wieder davon angetan, wie sehr besonders die jungen Landwirte im Thema sind und engagiert Ihren Beruf leben. Da ist der Wille, sich neu auszurichten, durchaus vorhanden, aber auch die Ratlosigkeit, aus den unterschiedlichsten Signalen eine schlüssige Strategie zu entwickeln. Leider ist nicht der größte Schreihals der beste Ratgeber!
In der älteren Generation herrscht oft Fassungslosigkeit vor, und das Gefühl, ungerecht behandelt zu werden. Das liegt nicht daran, dass man glaubt eine Produktionsschlacht siegreich bestanden zu haben, und dafür Dankbarkeit zu verdienen. Vielmehr dass man sich für verantwortungsbewusster hält, als es der Restbevölkerung bei nine-to-five Jobs abverlangt wird. Ohne Empathie hält man keine Tiere, und das Wissen, sich- im Gegensatz zu den Kritikern- in seinem erlernten Beruf zu bewegen, wird immer wieder sichtbar. Expertise wird leider immer nur sich selbst zugesprochen, auf allen Seiten!
(langer Einschub, Exkurs, um zu zeigen, warum Bauern so ticken, wie sie ticken:
Im Münsterland, genauso wie in vielen anderen Regionen Deutschlands, kommt ein anderer Aspekt hinzu. Im landwirtschaftlichen Erbrecht wird, im Gegensatz zu Erbteilungsgebieten, der Betrieb an einen Nachfolger zur Gänze übergeben. Da gibt es Abfindungsansprüche der Geschwister, die aber relativ gering sind. Der Hof wird ja auch nicht übergeben um ihn zu „verfrühstücken“, sondern um aus den Erträgen des Hofes die Landwirtsfamilie zu ernähren und den Betrieb möglichst stabiler weiterzugeben. Das kann man durchaus treuhänderisch nennen. Als Treuhänder den Hof in seiner Existenz zu gefährden, hat also auch immer ein Scheitern vor der Familie -und vor sich selber- inne, und das in einer oft langen Generationenfolge. Da soll man dann freudig irgendwelchen Interessengruppen folgen, die man- tief in sich drin- sowieso nur für eingeschränkt satisfaktionsfähig und ahnungslos hält?)
Und Investitionen aufs Spiel setzen, die im Gegensatz zur Industrie kein return-of-invest von 3 oder 5 Jahren haben, sondern zur Amortisation 30 bis 40 Jahre brauchen? Da gibt es keine Gewinne, die es erlauben würden, Wertberichtigungen für stillgelegte oder umzubauende Ställe in so einem Umfang steuerlich geltend zu machen! Selbst Investitionen in Bioenergie haben eine auf 20 Jahre geförderte Laufzeit, unter solchen Bedingungen nimmt kein Industriebetrieb Geld in die Hand!
Außerdem müsste jenseits aller Worthülsen erst einmal klar sein, in welche Richtung es gehen soll!
Also wird weiter produziert, misstrauisch beäugt von der Öffentlichkeit und immer auf der Jagd nach dem neuesten Heilsversprechen von Labeln und Markenprogrammen, Tierwohlkategorien oder aber dem nächsten Produktionsausfall durch Seuche oder Umweltsünden irgendwo auf der Welt. Dann kann man wieder Kasse machen in der Branche und verflüchtigen sich in Mangelsituationen auch die Diskussionen……
Vielleicht lassen sie sich aber nur besser ertragen!
So, nächste Woche, wenn`s gelingt, mehr.
Viele Grüße,
Christoph
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Martin Hofstetter (Sonntag, 27 September 2020 05:59)
Moin lieber Altbauer Christoph,
Na wenn ich das lese krieg ich ja richtig Lust als gepäppelter NGO Fritze mal leibhaftig mit dir ein paar Themen zu diskutieren.
Hoffe dir und deinen Liebsten geht es gut.
Martin